Fluxus: Einheit von Kunst und Leben
„Das Leben ist ein Kunstwerk, und das Kunstwerk ist Leben.“ Dieser Satz, der die Identität der Kunst mit dem Leben beschreibt, stammt von dem Publizisten Emmett Williams, der zugleich Mitbegründer und wesentlicher Protagonist der Fluxus-Bewegung ist. Dieser Stil der Aktionskunst, der sich in den 1960er Jahren entwickelt, ist neben dem Dadaismus, dem Happening und der Body Art ein weiterer Angriff auf die elitäre „Hochkunst“ des Bürgertums und versucht, eine neue Perspektive zu schaffen, indem sie die traditionellen Formen der Bildenden Kunst überschreitet.
Fluxus als Teilströmung der Aktionskunst
Fluxus entwickelt sich, getragen von einzelnen Persönlichkeiten aus der New Yorker Musik- und Literaturszene, Mitte des 20. Jahrhunderts als Teil der künstlerischen Avantgarde, für welche die Trennung von Künstler und Kunstwerk, wie es in der traditionellen Bildenden Kunst der Fall ist, nicht mehr haltbar ist. Direktes Ergebnis der avantgardistischen Bestrebungen ist die Aktionskunst, zu der auch die Fluxus-Bewegung zählt, und die gegen den bürgerlichen, als zu „eng“ und „elitär“ empfundenen Kunstbegriff revoltiert. Indem die Aktionskunst nach neuen medialen und performativen Ausdrucksformen sucht, überschreitet sie die Grenzen der traditionellen Kunst und bezieht erstmals auch das Publikum in den Schaffensakt mit ein (so beispielsweise beim Happening oder auch unterschiedlichen Formen der Body Art). Zu klassischen Techniken der Bildhauerei und der Malerei gesellen sich nach und nach auch neuartige Medien wie Fotografie, Video und Film, wodurch die Künstler in die Lage versetzt werden, auch den prozesshaften Charakter des künstlerischen Aktes abzubilden (siehe hierzu auch Prozess- bzw. Konzeptkunst): Die Arbeit an dem Kunstwerk wird hier erstmals als Teil des Kunstwerks selbst begriffen.
Die wichtigsten Impulse erhält die Bewegung durch den Dadaismus, jener satirischen und kämpferischen Bewegung, die um 1915 als Protest gegen den Ersten Weltkrieg und den wachsenden Nationalismus des Bürgertums entstanden war. Anders als ihre surrealistischen „Erben“ in Frankreich, strebten die Dadaisten nicht nach einer neuen Kunst und einer neuen ästhetischen Wirklichkeit, sondern erklärten Zufall und Sinnlosigkeit zu ihrem Programm. Während der Zufall auch im Fluxus eine wichtige Rolle spielt, handelt es sich bei den Werken von Künstlern wie:
Emmett Williams,
Robin Page,
Joseph Beuys,
Daniel Spoerri (nur zeitweise) und
Beatle-Ehefrau Yoko Ono
jedoch nicht um einen Protest ohne Inhalt. Im Gegenteil: Fluxus ist dezidiert politisch und antwortet auf den undurchsichtigen Kunst- und Politikbetrieb nach dem 2.Weltkrieg.
Fluxus – der fließende Übergang zwischen Kunst und Leben
Im Fluxus wird der politisch motivierte Gedanke der Aktionskunst noch einmal gesteigert, indem die Bewegung den künstlerischen Schaffensakt nicht mehr als singuläres Ereignis gleichsam außerhalb der sozialen Wirklichkeit begreift, sondern ihn zum Teil dieser Wirklichkeit werden lässt: Kunst soll präsent und „anfassbar“ sein. Aus diesem Grund sind im Fluxus weder Anfangs- noch Endpunkte markiert, da jedes Ereignis seine eigene Dynamik entfaltet und gleichsam „open end“ gestaltet wird. Auf diese Weise soll sich ein nicht fixierter, fließender Übergang zwischen Kunst und Leben entwickeln. Diesem Ideal entspricht auch der Name der Bewegung, welcher an das lateinische Verb „fluere“ (= dt. 'fießen') angelehnt ist, und erstmals im Jahre 1960 als Titel für eine Zeitschrift verwendet wird, die der amerikanische Künstler George Maciunas gemeinsam mit dem litauischen Galeristen Almus Salcius plant. Zwar wird die geplante Zeitschriftenreihe niemals herausgegeben, doch nichtsdestotrotz gelingt Maciunas hiermit die nominale Abgrenzung des Fluxus gegen andere Strömungen der Aktionskunst.
Anstelle von Nacktheit, Kunstblut und blinder Zerstörungswut (so etwa der Fall bei der Aktionskünstlerin Gina Page, die sich Anfang der 70er Jahre live und vor Publikum mit Rasierklingen schnitt), setzt die Fluxus-Bewegung mehrheitlich auf ästhetische Ausdrucksmittel. Unter diesen tritt insbesondere die Musik hervor, da viele Fluxus-Anhänger der ersten Stunde wesentlich von den experimentellen Kompositionen John Cages an der "New School for Social Research" beeinflusst sind und kurzerhand jede Schwingung zu einem musikalischen Vorgang erklären. Auf diese Weise überführen sie alltägliche Abläufe und scheinbar absurde Handlungen in musische Partituren, welche auf einem erweiterten Verständnis von Musik basieren.
Emmett Williams: "Fluxus begriff das gesamte Leben als ein Stück Musik, als einen musikalischen Prozess. Ich denke, der Ursprung des ganzen Skandals waren nicht die verschiedenen Fluxus-Aktionen, sondern vielmehr die Philosophie, die dahinter steckte. Die Idee, dass alles Musik sein kann, ist das überzeugendste und zugleich charakteristische Merkmal und macht Fluxus zu einer in sich geschlossenen Sache."
Da Fluxus sich als globale und weltweit agierende Bewegung versteht und auch auf dem europäischen Kontinent bedeutende Vertreter hat - so etwa Joseph Beuys, Dieter Roth (siehe Poster: Schweiz Hutsalat) und Wolf Vostell- , organisieren die Fluxus-Begründer George Maciunas, Ben Patterson, Emmett Williams, Gerorge Brecht, Dick Higgins, Joe Jones und Nam June Paik bereits im Gründungsjahr Konzerte in Wiesbaden, Kopenhagen und Paris. Im Jahr darauf folgen musikalische Events in London, Nizza und Amsterdam. Weltweite Bekanntheit hat jedoch vor allem das erste Festival in Wiesbaden im Jahre 1962 erlangt, das drei Wochen lang andauerte und den Auftakt für die folgenden Konzerte bildete, die stets nur mit einem skizzenhaften Programm versehen sind, um den Künstler möglichst viel Freiraum in der Gestaltung zu gewährleisten.