Lichtkunst von damals bis heute
Als die Entwicklung der Glühlampe gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Menschen von der Gebundenheit an natürliche Lichtquellen "befreit", versetzt sie ihn zugleich in die Lage, frei über das Licht zu verfügen und es nicht nur für praktische, sondern auch für ästhetische Zwecke einzusetzen. Aus dieser Position heraus entwickelt sich im 20. Jahrhundert die sogenannte "Lichtkunst", zunächst als Teil der Skulptur oder der Installation, zur eigenständigen künstlerischen Gattung. In der Regel sind entsprechende Installationen auf eine Abwesenheit von Tageslicht und anderen (nicht in das künstlerische Projekt einbezogenen) Lichtquellen angewiesen.
Entscheidendes Charakteristikum der Lichtkunst ist ihre Selbstreferenzialität, d.h. es handelt sich nur dort um 'Lichtkunst' im engeren Sinne, wo das künstliche Licht weder für pragmatische, noch kommerzielle, sondern für rein ästhetische Zwecke genutzt wird. Aus diesem Grund fallen Beleuchtungsanlagen (z.B. für Kunstobjekte im Freien), Lichtinstallationen mit Zeichencharakter (z.B. Verkehrsampel) und kommerzielle Leuchtreklamen nicht in die Kategorie der Lichtkunst.
Frühe Lichtkunst: Die Feier des technischen Fortschritts
Im frühen 20. Jahrhundert sind die ersten Aktionen und Installationen, bei denen elektrisches Licht künstlerisch eingesetzt wird, noch ganz vom Fortschrittsoptimismus der Aufklärung und der Wohlstandswelle der Industriellen Revolution getragen. Zeitgleich mit der ästhetischen Emanzipation der Lichtkunst entwickelt sich auch die Fotografie zur eigenständigen Kunstrichtung und trägt enorm zur Wahrnehmung des Lichts als (nutzbares und bearbeitbares) Medium bei. In den 1920er Jahren entwickelt der Ungar Lázló Moholy-Nagy, welcher zu dieser Zeit am 'Bauhaus' tätig ist, den sogenannten "Licht-Raum-Modulator", mit dem er die Fotografie als erste Kunst zelebriert, die "aus der Maschine" komme.
Moholy-Nagys Objekt erzeugt mithilfe von verschiedenfarbigen Glühlampen in einer kubischen Öffnung und einem sich unablässig bewegenden Mechanismus lineare Farb- und Schattenprojektionen. Einen dunklen Schatten wirft die Instrumentalisierung des künstlichen Lichts durch den Nationalsozialismus auf die Geschichte der Lichtkunst: Die historisch gewachsene kultische Dimension und empathische Wirkung des Mediums nutzend, setzt Albert Speer, seines Zeichens Reichsminister für Bewaffnung und Munition ab 1942, die Propaganda-Aufmärsche der NS-Führungsriege mit riesigen Flakscheinwerfern in Szene.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts steht wieder ganz im Zeichen einer technikeuphorischen und zukunftsorientierten Lichtkunst: In den späten 40er Jahren wird Moholy-Nagys Idee einer radikalen Konkretisierung von Licht wieder aufgegriffen und entwickelt sich mit dem Pariser Künstler Nicolas Schöffer zu einer Utopie der vollständigen urbanen Ästhetisierung. Schöffer will mithilfe von raum-dynamischen Lichtarchitekturen eine Stadt schaffen, die auf die verschiedenen Witterungseinflüsse mit Licht und Bewegung reagiert.
Die Puristen der 60er Jahre: Das Spiel mit dem 'reinen' Licht
Anders als den frühen Lichtkünstlern geht es den Künstlern der 60er und 70er Jahre nicht nur darum, die technischen Möglichkeiten der künstlichen Lichtquelle in Szene zu setzen, sondern um das Spiel mit dem Medium selbst. Vor allem im amerikanischen Raum findet in dieser Zeit eine Konzentration auf das 'reine' Licht und die Möglichkeiten seiner Inszenierung im Raum statt. Bekanntes Beispiel dieser neuen Form ist die "Diagonale vom 25. Mai" von Dan Flavin aus dem Jahre 1963, bei der das Licht aus einer gelben, industriell genormten Leuchtstoffröhre nach außen in den Raum dringt. In der Nachfolge Flavins entstehen ganze "Lichtkorridore", die experimentell mit der Verteilung des Lichts im Raum arbeiten.
Fotograf: Nicholas Boos, Titel: Nauman (Quelle: flickr.com)
Ein weiteres Kennzeichen der puristischen Lichtkunst der 60er und 70er Jahre ist ihre explizite Selbstreferenzialität: Gearbeitet wird ausschließlich mit den physikalisch-optischen Eigenschaften des Mediums und seiner Wirkung auf das Publikum.
"Nicht irgendein Licht, nicht das, was man so kennt, strahlend, glimmend oder funkelnd. Wenn das Licht zu Kunst wird, dann will es sich kräuseln, dann züngelt es, wabert, rieselt, formt feinste Gespinste."
Neben der relativ abstrakten Lichtkunst setzt in den späten 70er Jahren auch die ästhetische Nutzbarmachung der (um 1912 entwickelten) Leuchtreklame ein: Anstatt für werbende und kommerzielle Zwecken werden die dünnen und formbaren Leuchtröhren nun von Künstlern wie François Morellet, Keith Sonnier, Mario Merz und Bruce Nauman (siehe Bild) verwendet, um leuchtende Schriftzüge oder auch ganze Bilder als Licht zu formen. Während dieser Zeit werden jedoch zunehmend auch kritische Stimmen laut, die vor der verführerischen Faszinationskraft der – an die Leuchtreklamen angelehnten – Installationen warnen. Stärker als zu Beginn der Lichtkunst rückt nun der ästhetische Diskurs in den Vordergrund: Das künstlerische Konzept muss stets den dekorativen Wert dominieren.
Moderne Lichtkunst: Politisches Engagement und soziale Wirklichkeit
Fotograf: Jef Nickerson, Titel: Jenny Holzner (Quelle: flickr.com)
Während die frühe Lichtkunst den Fortschrittsoptimismus verkörpert und die puristische Lichtkunst der 60er und 70er Jahre den Wert des 'reinen' Lichts in Szene setzt, definiert sich die moderne Lichtkunst etwa ab den 1980er Jahren über ihren gesellschaftskritischen Impetus. Frühes Beispiel ist hier das Leuchtschriftenwerk der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer, deren projizierte Leuchtschriften das Publikum mitten am New Yorker Times Square mit Gemeinplätzen und Binsenwahrheiten konfrontieren, die einen Einbruch der Kunst in die soziale Wirklichkeit darstellen (siehe Bild). Ebenfalls typisch für die moderne Lichkunst ist ihr Einsatz im Dienste des kulturellen Gedächtnisses: Der französische Künstler Christian Boltanski verwendet Lichtinstallationen wie leuchtende Hampelmänner und Projektionen von Drahtfiguren in Kombination mit Kindheitserinnerungen in Vitrinen, um den traumatisierenden Einbruch des Holocaust in die kindliche Lebenswelt zu symbolisieren.
In der modernen Lichtkunst wird das Medium in erster Linie als Bedeutungsträger zur visuellen Kommunikation genutzt, verweist in dieser Eigenschaft jedoch auch auf die wesensimmanente Doppelbödigkeit von Botschaften, die immer ideologisch geprägt sind und niemals unreflektiert betrachtet werden dürfen.